Jens Spahn bringt die Widerspruchslösung ins Spiel und knüpft damit an das Modell anderer EU Länder an
Jens Spahn, der Bundesgesundheitsminister der CDU, hat die Widerspruchslösung für die Organspende ins Spiel gebracht und dafür großes Lob und Zuspruch von der Koalition bekommen.
Die Widerspruchslösung in der Organspende ist bereits in Spanien und Polen aktiv und führt besonders in Spanien zu einer, auf die Bevölkerung gesehen, sehr hohen Organspenderate, die immer wieder als Musterbeispiel für die Organspende herangezogen wird.
Allein in Spanien kommt es dadurch zu 43,4 postmortalen Organspenden auf 1 Millionen Einwohnern. Im Vergleich zu Deutschland, wo aktuell die Entscheidungslösung gilt, und auf 1 Millionen Einwohner nur etwa 10,4 Organspenden kommen, ist die Spendenbereitschaft in Spanien daher signifikant höher. (Stand 2016)
Doch was ist der Unterschied zwischen der Entscheidungslösung, Zustimmungslösung und Widerspruchlösung?
Bei der in Deutschland geltenden Entscheidungslösung muss eine positive Zustimmung des potenziellen Spenders vorliegen. Liegt diese nicht vor, können auch keine Organe entnommen werden.
Bei der (erweiterten) Zustimmungslösung gilt das obige entsprechend. Auch hier dürfen Organe nur entnommen werden, sofern eine Zustimmung des potenziellen Spenders vorliegt. Bei der erweiterten Zustimmungslösung können jedoch auch die Angehörigen stellvertretend für den Verstorbenen die Entscheidung treffen.
Die Widerspruchslösung hingegen sieht vor, dass automatisch jeder Organspender ist. Einer Nichtentnahme müsste dann ausdrücklich widersprochen werden. Liegt kein Widerspruch vor, können der verstorbenen Person ohne weiteres Organe entnommen werden.
In einigen Ländern haben die Angehörigen darüber hinaus jedoch noch ein Widerspruchsrecht, falls die verstorbene Person zu Lebzeiten der Organentnahme nicht ausdrücklich widersprochen hat.
Spahn hat eine doppelte Widerspruchslösung gefordert. Im Falle eines fehlenden Widerspruches würden die Angehörigen zusätzlich befragt.
Ein Modellumschwung erhöht nicht zwangsläufig die Spendenbereitschaft
Die Statistiken zeigen aber auch: Ein reiner Modellwechsel führt nicht zwangsläufig zu einer erhöhten Spendenbereitschaft. In Polen beispielweise kommen gerade einmal auf 1 Millionen Einwohner etwa 14,1 Organspenden. Diese Zahl ist nicht weit entfernt von den Organspenden in Deutschland.
Es ist daher unerlässlich auch auf andere Tatsachen hinzuweisen, die zu einer erhöhten Spendenbereitschaft führen. Spanien ist dabei der Vorreiter.
Hier gibt es ein dreistufiges Transplantationssystem, dass auf Klinik-, regionaler und nationaler Ebene die Organspende organisiert.
Auch eines solchen bedürfte es in Deutschland.
Zudem müsste mehr auf Aufklärung gesetzt werden und noch aktiver für Organspende geworben werden.
Wer glaubt die Spendenbereitschaft alleine durch eine Gesetzesänderung steigern zu können, der irrt.
Doch ist die Widerspruchslösung wirklich die Lösung?
Doch rein abseits der Statistiken und Fakten, besonders kritisch und kontrovers diskutiert wird da, wo Gefühle ins Spiel kommen. Und auch besonders bei der Organspende lässt sich das nicht vermeiden.
Im Falle einer Widerspruchslösung in Deutschland wird das aktive Widersprechen desjenigen verlangt, der keine Organspende leisten möchte.
Ob dies dazu führt, dass man sich bewusster mit dem Thema auseinandersetzt ist fraglich, vielmehr wird dem Einzelnen das Selbstbestimmungsrecht solange vorweg gehalten, bis er selbst aktiv wird.
Vor allem jedoch, wird mit dem Desinteresse und der Lethargie der Bevölkerung gespielt und diese scheinheilig ausgenutzt.
Die Hoffnung die Zahl der Organspenden künstlich nach oben zu steigern, geht dabei auf Kosten des Einzelnen.
Außerdem: Ein bewusstes Ausschließen oder Einbeziehen einzelner Organe ist durch die Widerspruchslösung nicht mehr möglich.
Hat jemand zum Beispiel ethische Bedenken sein Herz zu spenden, aber nicht seine Leber geht diese Person als Organspender verloren, sollte er seine moralischen Bedenken über das Spenden stellen.
Durch die Widerspruchslösung gibt es nur noch Schwarz und Weiß, ein Dazwischen wird von vorneherein ausgeschlossen.
Darüber hinaus: Was geschieht, wenn jemand ausdrücklich widersprochen hat, aber der Widerspruch verloren geht oder nicht dort ankommt, wo er hingehört?
Auch das ist eine Frage, die es zu klären gilt.
Außerdem ist es fraglich, ob der Einzelne automatisch als Ersatzteillager der Gesellschaft dienen sollte. In erster Linie liegt es doch zunächst in der freien Entscheidung des Einzelnen sich für oder gegen eine Organspende zu entscheiden. Tut er dies, in dem er einen Organspendeausweis ausfüllt, hat er diese Entscheidung bewusst gefällt und im besten Falle mit Vor- und Nachteilen durchdacht.
Sollte nun eine Widerspruchslösung aktiv werden, geht die Gesellschaft automatisch davon aus, dass er zur Spende bereit ist. Eine Entscheidungsfindung seinerseits über Vor – und Nachteile hat dabei nie stattgefunden. Der Körper des Einzelnen gilt daher grundsätzlich erst einmal als Eigentum der Gesellschaft. Und das bis zu dem Zeitpunkt, wo der Einzelne das Selbstbestimmungsrecht seines Körpers zurückfordert. Die Selbstbestimmung des Einzelnen weicht damit dem Interesse der Gesellschaft.
Unter moralischen Aspekten ist eine solche Widerspruchslösung daher höchst fragwürdig.
Das Ziel richtig, der Weg falsch
Mir ist es wichtig, dass in der aktuellen Diskussion eine Sache nicht verwechselt wird.
Aktuell gibt es keine Diskussionen über das Für und Wider einer Organspende, sondern um die Frage, ob eine Widerspruchslösung angebracht erscheint.
Deshalb möchte ich vorweg noch einmal betonen, dass ich jede einzelne Organspende begrüße und auch für mich nach vertretbaren Lösungen suche die Zahl der Organspender zu steigern.
Auch ich bin Organspenderin und werbe bei meinen Mitmenschen für eine Organspende.
Die Einführung einer Widerspruchslösung ist dabei jedoch keine Lösung, die ich befürworten möchte.
Für mich steht die Selbstbestimmung des Einzelnen an erster Stelle und diese sollte auch so lange gewahrt bleiben, bis dieser freiwillig auf sie verzichtet und seinen Körper der Organspende zur Verfügung stellt. Bis dahin ist er allein derjenige, der darüber herrschen und bestimmen darf.
Ich würde eine Lösung befürworten, wo der Einzelne zu einem gewissen Zeitpunkt zu einer Entscheidung gezwungen wird, beispielweise beim Abschluss eines Krankenversicherungsvertrages, mit Volljährigkeit oder Beantragung eines Personalausweises.
Der Unterschied läge dann darin, dass nicht jeder automatisch als Organspender in Frage käme, sondern sich im Falle des Falles ausdrücklich auf die Entscheidung des Einzelnen berufen würde.
Der Einzelne wird dabei aber zu einer Entscheidung gezwungen und nimmt damit auch eventuellen Angehörigen eine schwere Wahl ab.
Liegt aus irgendeinem Grunde keine Entscheidung vor, gilt die Person auch nicht als Organspender.
Dabei bleibt die Selbstbestimmung des Einzelnen nach wie vor als höchstes Gut erhalten, eine Entscheidung über eine Organspende findet jedoch dennoch statt.
Quellen:
- https://www.aerztezeitung.de/politik_gesellschaft/organspende/article/888601/organspende-spanien-lernen.html
- https://www.organspende-info.de/infothek/gesetze/europa-regelungen
- https://de.statista.com/statistik/daten/studie/226978/umfrage/anzahl-postmortaler-organspender-in-ausgewaehlten-laendern/
Auf Grund steigender Anfeindungen und vermehrtem Hass auf „sozialen Medien“ möchte der Originalautor nicht mit Klarnamen genannt werden. Falls du deinen Hass trotzdem loswerden möchtest ist hier eine geeignete Plattform.
R meint
Viele Menschen sterben, auch schon in sehr jungem Alter, weil sie verzweifelt auf ein Organ warten und keins bekommen. Durch diesen hohen Mangel an Organspenden wird wiederum der illegale Handel mit Organen bestärkt. Wird der Bedarf an Organtransplantationen auf legale Weise stärker gedeckt, könnte das dem Schwarzmarkt die Grundlage entziehen und Menschen schützen, die, aus Not oder weil sie gezwungen werden, ihren Körper verkaufen. Der Bedarf an Organspenden in Deutschland ist sehr hoch. Wie die anderen Länder, in denen die Widerspruchslösung bereits gilt, zeigen, ist die Spendebreitschaft durch diese
Lösung stark gestiegen.
Doch woher nimmt sich der Staat das Recht festzulegen, dass zunächst jeder Mensch als Organspender funktioniert, bis er aktiv widerspricht und somit in die Freiheiten des Bürgers eingreift? Aufgabe unserer Demokratie ist es, zwischen dem Allgemeinwohl und den Partikularinteressen des einzelnen abzuwägen und oft müssen Freiheiten des Einzelnen, dem Allgemeinwohl in bestimmten Bereichen weichen. Die Mehrheit der Menschen in Deutschland, die ein neues Organ
benötigen, wünschen sich auch eine Spende. Es besteht also ein großes Interesse, diesen Bedarf zu decken.
Natürlich wird mit der Widerspruchslösung die Freiheit des Einzelnen beschränkt, aber das Selbstbestimmungsrecht eines Jeden geht meiner Meinung nach zu keinem Zeitpunkt verloren. Der Bürger kann mit Volljährigkeit selbst entscheiden, ob er Spender sein will und eine Spende gegebenenfalls aktiv ausschließen. Auch stünde ihm frei, zunächst zu widersprechen und sich nach erneutem Auseinandersetzen mit der Thematik später gegebenenfalls umzuentscheiden. Die Entscheidung, ob ja oder nein, ist ja, genau wie aktuell auch, nicht in Stein gemeißelt und jederzeit abänderbar. Durch diese freie Entscheidung die weiterhin garantiert wird, sind die Organe eines Menschen zu keiner Zeit „das Eigentum der Gesellschaft“.
Dies setzt natürlich voraus, dass sich der Bürger mit einer persönlichen Entscheidngsfindung aktiv auseinandersetzt und früh eine erste Entscheidung für sich trifft. Dies wird ja gerade durch die Widerpsruchslöung erzwungen. Da stimme ich zu, dass mehr Aufklärungsarbeit bezüglich Organspenden stattfinden muss.
Der Abwägungsprozess sollte also an Schulen, von Städten und Verbänden durch weitreichende Informationen und Diskussionen über das Thema Organspende unterstütztwerden. Je früher hier Aufklärungsarbeit stattfinden, desto eher kann die Relevanz des Themas vermittelt werden. Durch eine umfassende Aufklärung und durch das
Vermitteln, dass die Spende von Organen immer noch eine moralische Frage bleibt, die jeder individuell für sich beantworten kann und weiterhin darf, kann vermieden werden, dass viele Bürger pauschal Widersprechen, weil sie sich durch die Widerspruchslösung vom Staat bevormundet, überrumpelt oder hintergangen fühlen.
Auch halte ich den Vorschlag bezüglich der Ermöglichung eines Teilwiderspruchs für sinnvoll. Menschen, die bereit sind, nur bestimmte Organe zu spenden, sollten diese Möglichkeit gewährt bekommen. Dadurch würde vermieden, dass ein Teil der Spender wegfällt, weil er seinen Körper nicht uneingeschränkt
zur Verfügung stellen möchte. Diese Lösung würde auch vermitteln, dass jedem weiterhin die Möglichkeit zusteht, über eine Spende selbst zu entscheiden
und diese individuell zu gestalten.