Am 22. Februar jährte sich der Todestag der Geschwister Scholl, die für ihren Widerstand gegen den Nationalsozialismus hingerichtet wurden. So bewundernswert und beeindruckend Widerstandsgruppen wie die Weiße Rose allerdings auch sein mögen, so ist es ein trauriger Fakt, dass es keinen breiten Widerstand gegen die Nazis in der deutschen Bevölkerung gegeben hat.
Nur wenige trauten es sich, gegen das mörderische Regime aufzubegehren.
„Nie wieder!“ sollte der antifaschistische Grundkonsens Nachkriegsdeutschlands sein, „Wehret den Anfängen!“ die Parole, damit es nicht so weit kommt, dass sich nur noch wenige den Widerstand trauen, der in §20 des Grundgesetzes als Recht festgelegt ist.
Für „Wehret den Anfängen“ ist es leider schon zu spät. Seit 1990 sind in Deutschland mehr als 200 Menschen Opfer rechtsradikaler Morde geworden, allein in den letzten 9 Monaten gab es drei rechte Terrorangriffe, bei denen Menschen ihr Leben verloren.
So unpassend der oft bemühte direkte Vergleich mit „Weimar“ manchmal sein mag, so muss man doch Erich Kästners Satz, den nationalsozialistischen Schneeball hätte man 1928 aufhalten müssen, bevor er zur Lawine wird, auf heute übertragen.
Das Hufeisen fällt der „Mitte“ auf beide Füße.
Doch gerade in einer so wichtigen Zeit ließen die „bürgerlichen“ Parteien der „Mitte“, CDU und FDP, Zweifel am antifaschistischen Grundkonsens aufkommen. Ausgerechnet in dem Landtag, in dem der gerichtlich anerkannte Faschist Björn Höcke Fraktionsvorsitzender ist, spielten sie das von diesem lange vorangekündigte Spiel mit und wählten einen Ministerpräsidenten von Gnaden der Nazis.
Und das alles, um einen beliebten Ministerpräsidenten zu verhindern, der eher als Sozialdemokrat durchgehen würde als als Linksradikaler.
Auch wenn die Reaktionen aus Teilen der beiden Parteien bundesweit sehr scharf ausfielen und eine Revision des Ergebnisses forderten, so ist es doch auch ihr irrationales Festhalten an einer längst überholten Hufeisen-Theorie, das ihre Thüringer Parteifreunde in die Situation brachte, sich zwischen Realitätssinn und Antifaschismus auf der einen Seite und Ideologie und Kooperation mit der AfD entscheiden zu müssen.
Aber auch bei den Korrekturversuchen ihres Tabubruchs tun sich die so genannten bürgerlichen Parteien schwer, nicht ihre Machtarithmetik vor den Antifaschismus zu stellen. Wer Linksextremismus und Rechtsextremismus gleichsetzt, verharmlost rechten Terror, der Menschen, nur weil sie so sind, wie sie geboren wurden, ihr Existenzrecht abspricht und eine viel größere Bedrohung darstellt als ein paar Linksautonome.
Wenn Friedrich Merz, der in der Union nicht ganz so unpopulär ist, ernsthaft die stärkere Thematisierung von Clan-Kriminalität und Grenzkontrollen als Strategie gegen Rechtsextremismus verkaufen will, ist er Teil des Problems.
Das Problem heißt Normalisierung.
Eine Normalisierung rechter Positionen in unserer Gesellschaft von Sarrazin und unzureichender Aufklärung des NSU über reißerische Spiegel-Cover zu Geflüchteten und dem Islam, bis zu Hans-Georg Maaßen als Schnittstelle zwischen Werteunion und AfD. Jener AfD, die immer noch in zu vielen Talkshows und Interviews ihre menschenverachtenden Ansichten absondern kann, obwohl sie der politische Arm des Rechtsextremismus ist und bei weißen, deutschen Tätern was von „politischer Instrumentalisierung“ schwafelt. Die Terrorangriffe von Halle und Hanau haben hier ihren Ursprung.
Angesichts dieser Vorgänge gehören die Verfassungsschutzämter überprüft und gegebenenfalls zum Augenarzt fürs rechte Auge geschickt und die Medien sollten ihren Umgang mit Themen von Rechtsextremismus und Migration ihre Art der Berichterstattung nochmals überdenken. Das fängt bei Begrifflichkeiten an: Wer rechten Terror „Fremdenfeindlichkeit“ nennt, macht Deutsche mit Migrationsgeschichte zu Fremden im eigenen Land und übernimmt rechtes Framing, dass nicht deutsch sein kann, wer „nicht-deutsch“ aussieht.
Alle! Zusammen! Gegen den Faschismus!
Die weiße deutsche Mehrheitsgesellschaft hat versagt. Die „Mitte“ hat versagt, eingewanderten deutschen und nicht-deutschen People of Color das Gefühl zu geben, dass sie sich in Deutschland sicher fühlen können.
Es ist eine Schande für ein Deutschland nach der NS-Zeit, dass Minderheiten wieder darüber nachdenken, ob sie auswandern müssen.
Unsere Antwort darauf können nur gelebte Solidarität und aktiver Antifaschismus sein, denn die Trennung des Privaten vom Politischen können sich überhaupt nur Weiße leisten, die nicht schon allein wegen ihres Aussehens von den Rechten zum Abschuss freigegeben werden.
Oder wie die Weiße Rose auf ihre Flugblätter schrieb, als es bereits zu spät war:
„Zerreißt den Mantel der Gleichgültigkeit, den Ihr um Euer Herz gelegt! Entscheidet Euch, eh‘ es zu spät ist!“ Noch ist es nicht zu spät.
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