Der 8. April 2016. Aula Bayernallee der Fachhochschule Aachen:
Es ist die erste Veranstaltung dieser Art, die ich besuche, also eine mit politischem Hintergrund.
Der Spiegel hat Martin Schulz, damals noch amtierender Präsident des Europäischen Parlaments zu einem Gespräch über Europa eingeladen. Es war die Zeit, als die Flüchtlingskrise die mediale Landschaft beherrschte. Eine Zeit, in der die EU offenbarte, dass die Wirtschaftsunion zwar bestand und außerordentlich gut funktionierte, die Werteunion aber kaum vorhanden war. Zusammenhalt? Fehlanzeige! Die Mammutaufgaben wurden von ein paar wenigen Ländern bewältigt, während andere sich vornehm zurückhielten. Innerhalb der Bevölkerung, unter anderem in Deutschland, wurde die Kritik an dieser EU in ihrer damaligen Form immer lauter. Europa stand am Scheideweg, und steht dort eigentlich immer noch, wenn man so will. Die Flüchtlingskrise ist zwar nicht mehr so akut wie 2016, andere Probleme wie der Rechtsruck oder die hohe Jugendarbeitslosigkeit in vielen Europäischen Nationen bestehen jedoch weiterhin.
Martin Schulz, der richtige Kandidat – Damals…
Mittendrin in alledem: Martin Schulz. Wenn man ihm so zuhörte, merkte man sofort, dass es sich um einen überzeugten Europäer handelt, der auch die vielen guten Facetten und das große Potential dieser Gemeinschaft sieht. Er hatte Visionen für die EU. Natürlich, diese müssen erst einmal verwirklicht werden, was die eigentliche Herausforderung darstellt, aber um etwas zu verwirklichen, muss man es sich erst einmal vorstellen können.
Gegen Ende des Gesprächs hatte mich dieser Mann überzeugt und ich habe mir gedacht, Martin Schulz als Spitzenkandidat für die SPD bei der Bundestagswahl im September 2017, das wäre was.
Wie so oft, bedauert man es bei manchen Wünschen im Nachhinein, wenn sie dann tatsächlich in Erfüllung gehen. So auch hier. Die SPD Hochburg NRW verloren, bei der Bundestagswahl, das schlechteste Ergebnis der Parteigeschichte geholt. Anschließend Martin Schulz aus dem Amt gejagt. Läuft.
In die Opposition – Nach dem Jamaikaaus der erste Wortbruch
Aber eins nach dem anderen:
Es ist der Wahlabend des 24.09.2017. Man hat das Ergebnis so langsam akzeptiert als Martin vor die Kameras tritt und verkündet, dass die Partei das Wählervotum akzeptiert und dahingehend interpretiert, dass die GroKo abgewählt und die SPD in die Opposition gehen soll. Gefühlt hat die gesamte Partei diese Entscheidung mit Wohlwollen aufgenommen und stand dahinter.
Auch ich. Jedoch mussten wir auf bittere Art und Weise feststellen, dass sich Umstände schlagartig ändern können. In diesem Fall in Form der geplatzten Jamaika Verhandlungen. Hier sehe ich persönlich den Fehler, der die Partei so viel Glaubwürdigkeit nicht nur in der gesamten Bevölkerung, sondern auch in der eigenen Parteibasis gekostet hat, als der Parteivorstand noch in derselben Nacht vorauspreschte und noch einmal betonte, dass man an den Bestrebungen in die Opposition zu gehen festhielt. Warum wartete man nicht erst einmal ab wie sich die Dinge entwickeln? Wieso ließ man sich sofort in die Karten schauen? Man muss kein Politexperte sein, um erahnen zu können, dass zumindest der Bundespräsident in Person von Exgenosse Frank Walter Steinmeier noch ein Wörtchen dabei mitzureden haben und alle Parteien an ihre Staatsverantwortung erinnern würde, was im Klartext bedeutet, dass sich alle zu Gesprächen bereit erklären müssen.
So kam es dann schließlich auch. Die Partei, bzw. der Vorstand, nicht nur Martin Schulz, hat innerhalb weniger Tage den ersten Wortbruch begangen. Ohne Zwang und Not, hätte man sich ein paar Tage zuvor nur ein wenig bedeckt gehalten. Man setzte sich, trotz viel Gegenwind aus der Partei allen voran von den Jusos, mit den beiden Unionsparteien an einen Tisch und sondierte. Eine Entscheidung die ich durchaus nachvollziehen kann, es mussten die Interessen des Staates den Parteiinteressen übergeordnet werden. Für ein Zurückrudern war es zu spät. Es galt das beste aus der Situation zu machen.
Im Schnelldurchlauf wurden die Sondierungen innerhalb weniger Tage durchgejagt und es lag ein erstes Zwischenergebnis vor. Auf Grundlage dieses Sondierungspapiers sollten nun Koalitionsverhandlungen geführt werden. Man fragte die Partei in Form der Delegierten und diese stimmten, wenn auch sehr knapp, für weitere Verhandlungen mit der Union. Nach kurzer Zeit lag dann auch schon der Koalitionsvertrag vor. Auch welche Partei welche Ministerien bekommt stand fest.
Viel erreicht – mit einigen Abstrichen
Ich möchte gar nicht weiter auf den Inhalt des Vertrages eingehen. Davon kann sich jeder ein eigenes Bild machen, was er als Erfolg oder Fortschritt verbucht oder eben nicht. Ja, auch ich hätte mir eine Bürgerversicherung gewünscht. Ja, auch ich finde die Obergrenzen-Regelung im Rahmen des Familiennachzugs oder das neue „Heimatsministerium“ ziemlich bescheiden. Aber zur Erinnerung: Wir haben bei den Wahlen 20% geholt. Wenn man diese Zahl bedenkt, haben wir doch sehr viele soziale Punkte durchgesetzt wie die paritätische Finanzierung der Krankenversicherungsbeiträge oder den sozialen Arbeitsmarkt der vielen Menschen dabei helfen wird, endlich der Langzeitarbeitslosigkeit zu entfliehen. Seien wir ehrlich zu uns selbst, um mehr soziale Punkte durchzusetzen brauchst du als SPD entweder die absolute Mehrheit im Parlament und kannst alleine durchregieren, oder ein Bündnis aus Rot-Rot-Grün. Auf absehbare Zeit ziemlich unrealistisch.
Es kam zur Abstimmung unter den Parteimitgliedern. Sollte die SPD auf Basis dieses Vertrages in eine Regierung mit den beiden Unionsparteien eintreten unter der Führung von Bundeskanzlerin Angela Merkel? Der Parteivorstand warb dafür, die Jusos mit ihrem „Zwergenaufstand“ und der „#NoGroKo“-Kampagne offen dagegen und gegen die eigene Parteispitze.
#Groko oder #NoGroKo?
Eine Frage, deren Beantwortung ich lange vor mich hinschob. Gefühlt, konnte man nur die falsche Entscheidung treffen. Also dachte ich beide Alternativen bis zum Ende:
Angenommen die Mitglieder entscheiden sich für ein „Nein“. Dann hätte es noch in diesem Jahr Neuwahlen gegeben. Neuwahlen, die die SPD nur verlieren konnte, komme was wolle. Es wäre ein erbärmlicher Wahlkampf geworden. Wahlkampf für dieselben Köpfe an der Spitze der Partei, die uns erst in diese Misere gebracht hatten. Wahlkampf mit denselben Inhalten, die uns der Wähler schon im September 2017 nicht abgekauft hat, nur das wir diesmal durch den Schlingerkurs noch unglaubwürdiger dastanden als beim letzten Mal. Wahlkampf, bei dem die SPD eine willkommene Zielscheibe für die restlichen Parteien wäre, allen voran für die AfD. Ach ja, die AfD die uns in den Umfragen zwischenzeitlich sogar überholt hatte. Die SPD wäre also mit hoher Wahrscheinlichkeit als drittstärkste Partei hinter der AfD in den Bundestag eingezogen und sich endgültig vom Status einer Volkspartei verabschiedet, mit ein paar jämmerlichen Prozenten im Parlament vertreten, wahrscheinlich in der Opposition, angeführt von der Pseudoalternativen. Vielleicht hätte diesmal Jamaika funktioniert und selbst die paar sozialen Punkte, die die SPD hätte durchsetzen können, wären auch Geschichte gewesen. Es wären vier Jahre Opposition ohne nennenswerten Einfluss auf das Leben der Menschen geworden, geführt von einer konservativen, wirtschaftsfreundlichen Regierung, in der das Heimatministerium das geringste Übel gewesen wäre. Vier Jahre, in denen die Schere zwischen Arm und Reich noch weiter auseinander gehen würde.
Ein Ja mit viel Bauchschmerzen jedoch das geringere Übel von beiden
Bei einem „Ja“ der Mitglieder jedoch, hat man vier Jahre Zeit vieles zu erreichen. Selbstverständlich nicht alles, was man möchte. Aber mehr als in der Opposition. Das wäre genug Zeit um wenigstens ein wenig Vertrauen der Menschen zurückzugewinnen, durch eine gute Arbeit in der Regierung, die aber auf jeden Fall besser verkauft werden muss als in der vorangegangenen Legislaturperiode. Hier sehe ich vor allem die Basis in der Verantwortung, die Kommunikation mit den Menschen zu suchen und sie auf die tolle Arbeit der SPD aufmerksam zu machen, den Menschen zu zeigen, dass die SPD mehr ist als Agenda 2010 oder eine Partei die nicht zu ihrem Wort steht. Dann glaube ich, stehen wir, vorausgesetzt das Projekt #SPDerneuern wird konsequent und gewissenhaft fortgesetzt, in vier Jahren besser da als in diesen Tagen.
Ein optimistischer Blick in die Zukunft
Während ich diesen Text verfasse, kommt eine Eilmeldung auf mein Handy. Dietmar Nietan, Bundesschatzmeister und Abgeordneter meines Wahlkreises, verkündet in Berlin im Willy-Brandt-Haus, das Ergebnis des Mitgliedervotums, 66% der Mitglieder stimmen für ein „Ja“, also eine Regierungsbeteiligung der SPD in einer Großen Koalition. Die Wahlbeteiligung liegt bei 80%, mehr als bei der letzten Befragung. Zumindest darauf können wir doch stolz sein.
Das werden spannende 4 Jahre mit viel Arbeit. Aber ich blicke optimistisch in die Zukunft!
Schreibe einen Kommentar